Wie meine hochsensiblen Sinne plötzlich normal wurden (Erfahrungsbericht)

(sp-db094-b04) Bevor ich meine „Normal-Erfahrungen“ bezüglich meiner hochsensiblen Sinnen beschreibe, möchte ich anmerken, dass die Bezeichnung „normal“ hier lediglich als Erklärungsmodell verwendet wird. Letztendlich ist „normal“ immer eine Betrachtungssache und ich mag die Schubladendenke sowieso nicht.

Sabina Pilguj
Ein Beitrag von Sabina Pilguj

Als hochsensible Person habe ich eine sehr feine Wahrnehmung und bin extrem wahrnehmungsverarbeitungssensibel. Ich gehöre nicht nur zu den Empathen, sondern beschreibe mich gerne als Immerdenkerin. Manchmal fühle ich mich wie mein Podenco Ibicenco. Meine Gedanken sind zuweilen kaum zu bändigen, mein Gehirn scheint überaktiv zu sein. Viele Dinge betrachte ich aus einer Metaebene und meine Gedanken laufen oft mehrdimensional.

Neben meiner Gedankenkreativität gehört zu meiner hochsensiblen Wahrnehmung auch mein extrem feiner Geruchssinn und ich bin sehr geschmackssensibel.

Plötzlich war alles anders

Am letzten Heilig Abend (2022) bekam ich ein „Geschenk“ der besonderen Art. Abends begann ich zu fiebern und wie sich schnell herausstellte, hatte mich erstmalig Corona erwischt.

Da der November und Dezember für mich eine sehr herausfordernde und stressbeladene Zeit waren, schien es so, als wäre mein Virenschutz außer Kraft gesetzt, denn es hat mich ganz schön umgehauen.

Bereits am zweiten Tag nach Ausbruch verlor ich meinen Geschmacks- und Geruchssinn.

Und mir ging es überhaupt nicht gut. Dieser Virus hatte mir ganz schön zugesetzt. Ich fühlte mich krank und sehr schlapp. Fast vier Wochen lang war mein Geruchs- und Geschmackssinn beinah ausgeschaltet bzw. extrem reduziert.

In meinem Gehirn spürte ich eine Leere, und es fühlte sich so an, als würde ich Watte im Kopf haben. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Meine Gedankenwelt war quasi von 110 % auf 40 % heruntergeschraubt. Mir fiel es schwer, mich zu konzentrieren und etwas Produktives zu machen.

Es schien alles auf einmal so grau und monoton.

Was sollte ich tun?! Ändern konnte ich an dieser Situation ja nichts. Ich gab mich quasi der Heilungs- und Regenerationsphase hin.

Ehrlich gesagt war es für mich, mit den sonst so vielen Gedanken und Ideen im Kopf, eine große Herausforderung! Manchmal musste ich mich regelrecht dazu zwingen, nichts zu tun und mich einfach nur auszuruhen.

Die feine Spürnase hatte Urlaub

Mein feiner Geruchssinn war ausgeschaltet. Gerüche, die ich mit meiner hochsensiblen Nase zuvor immer wahrgenommen habe und mich irritiert und gestört haben, waren durch meinen Geruchsverlust auf einmal irgendwie „normal“ und hatten nicht mehr diesen störenden Nervfaktor.

Ich hatte mir vor der Infektion ein paar Schuhe gekauft, deren Sohle einen Duftstoff trug (ja, so etwas gibt es wirklich). Für mich eigentlich unerträglich! Aber es war das einzige Paar Winterstiefel, von einer guten Firma hergestellt, die ich mit meiner Achillessehnenentzündung tragen konnte. Daher bin ich diesen Kompromiss überhaupt eingegangen. Ich dachte mir, ich kann die Schuhe ja auch einfach nur draußen tragen, dann stört mich der Geruch nicht.

Als es mir wieder etwas besser ging und wir zu einem Hundespaziergang an die Elbe fuhren, trug ich die Schuhe im Auto. Und was soll ich sagen – kein Augenjucken oder Kratzen im Hals von diesem Duftstoff! Das hat mich zuerst sehr irritiert. So ging es mir auch mit einigen weiteren Empfindungen in Bezug auf Gerüche. Ich stellte mir die Frage:

So fühlt es sich also an, wenn man nicht so sensibel auf Gerüche reagiert?!

Mein Geruchssinn war nach zwei Monaten fast wieder hergestellt und so wie vor der Virusinfektion. Auf einmal konnte ich die besagten Stiefel, mit dem Duftstoff, nicht mehr im Auto tragen, weil mein Körper darauf reagierte und ich davon sofort ein Kratzen im Hals und Augenbrennen bekam. Und auch die vielen anderen störenden Gerüche waren wieder da. Ebenso zeigte mir mein Geschmackssinn, was mir wirklich gut schmeckt und was ich doch nicht mag bzw. gut vertrage.

Inzwischen konnte ich die Watte und die Gedankenleere in meinem Kopf gut annehmen. So nach vier Wochen fingen meine Gedanken wieder ganz zart an zu sprudeln. Dann kam der erleuchtende Moment!

Auf einmal wurde mir klar, wie entspannt es sich anfühlen kann, wenn die Gedankenvielfalt und die ständige Immerdenkerei mal gezähmt sind.

Meine Gedankenwelt wurde wieder bunter, so empfand ich diese Veränderung. Es schien als würden in meinem Leben auf einmal wieder mehr bunte Blumen leuchten, auch wenn ich die vielen Gedanken in einigen Momenten als sehr anstrengend und kräftezehrend empfand.

Normale vs. hochsensible Wahrnehmung

Mir wurde auf einmal bewusst, wie unterschiedlich die Sinneswahrnehmung von „normalen“ und hochsensiblen Menschen sein kann. Ebenso merkte ich aber auch, wie anstrengend es sein kann, so eine feinfühlige und sensible Frau zu sein, deren Gedanken ständig überaktiv sind und die Sinne vieles ungefiltert aufsaugen.

In meinem Alltag hat sich vor dieser tiefen Erfahrung vieles einfach total normal angefühlt, weil ich dachte es wäre eben normal. Ich kannte ja bisher nichts anderes!

Aber mein „normal“ bzw. meine hochsensible Wahrnehmung fühlt sich, ehrlich gesagt, schon anstrengend an. Ich durfte den gravierenden Unterschied erfahren, wie viel entspannter sich der Alltag mit einer gefilterten („normalen“) Wahrnehmung anfühlt. Dazwischen liegen wirklich Welten!

Für Hochsensible ist es enorm wichtig, …

  • zu akzeptieren, dass eine Wahrnehmungsverarbeitungssensibilität auch ganz schön anstrengend sein kann und es wenig Sinn macht, sich mit anderen zu vergleichen.
  • sich regelmäßige Aus- und Ruhezeiten in den Alltag einzubauen, damit die Gedanken zur Ruhe kommen können (Achtung: Der Blick aufs Handy ist keine wirkliche Entspannung).
  • auf die Atmung achten und in stressigen Situationen bewusst und achtsam lang und tief zu atmen.
  • sich zu bewegen, am besten beim Spaziergang in der Natur oder Entspannungstechniken üben, um Stress zu reduzieren und wieder in die Balance zu kommen.
  • sich noch mehr in Achtsamkeit und Gelassenheit zu üben – achtsam die kleinen Wunder der Natur zu entdecken und die hohen Ansprüche und den Perfektionismus mal sein zu lassen, um gelassener zu werden.
  • gut für sich zu sorgen: Wasser zu trinken, nährende Lebensmittel zu essen.
  • alles zu machen, was einem guttut und für Wohlbefinden zu sorgen.

Als Hochsensible ist das Leben für mich manchmal eine Herausforderung, aber auch zugleich ein Geschenk. Dies kann ich umso mehr genießen, je mehr ich gut für mich sorge, um in der Balance zu bleiben.

Sabina Pilguj,  Heilpraktikerin für Psychotherapie, Yogalehrerin, IBI-ZA-Coach und Wegbegleiterin für hochsensible Frauen, Begleiterin für Mütter mit hochsensiblen Kinder.
www.ibi-za.de, www.pilguj.de, Netzwerkmitglied für Handorf
Autorin zahlreicher Bücher. Siehe: www.amazon.de/Sabina-Pilguj/e/B00457SBPU


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