Träumen Hochsensible intensiver?

(msch-db076-b03) Träumen Hochsensible intensiver und lebendiger? Darauf deutet zumindest eine psychologische Studie (Carr/Niellsen 2017) hin, die sich mit den Erfahrungen deckt, die ich in meiner therapeutischen Arbeit mit vielen hochsensiblen Menschen machte, die mir anhand von Träumen Einblick in ihr vielschichtiges Seelenleben gewährten.

Michael Schramm
Ein Beitrag von Michael Schramm

So auch Judith, die sich an mich wandte, weil sie in Abständen von mehreren Tagen oder Wochen immer wieder denselben Traum hatte, der ihr bizarr und unwirklich erschien und den sie nicht mit ihrem derzeitigen Leben in Verbindung bringen konnte. Es schien ihr, als gäbe es eine Kluft zwischen ihren nächtlichen Träumen und ihr selbst. Dies verunsicherte sie und sie wollte wissen, was ihr wiederkehrender Traum zu bedeuten hätte.

Haben Träume überhaupt etwas zu bedeuten?

Wie viel Beachtung soll ich meinen Träumen schenken? Wie gehe ich mit Albträumen um? Und warum ist ganzheitliche psychologische Traumdeutung für hochsensible Personen besonders hilfreich? Dies sind Fragen, die mir oft gestellt werden. Aus diesem Grund möchte ich hier einen kleinen Einblick in die ganzheitliche psychologische Traumdeutung geben.

Was ist ein Traum?

Auch während wir schlafen ist unser Gehirn aktiv. Ein Traum ist das Erleben dieser Aktivität, also ein bestimmter Ausdruck des Bewusstseins. Zwar können Forscher durch diagnostische Methoden wie Messung von Hirnströmen, Hautleitfähigkeit, Herzschlag und Atmung und Beobachtung von Augen- und Körperbewegung sowie Muskelzucken feststellen, dass ein Mensch träumt. Über den Inhalt eines Traumes kann jedoch nur der Träumer selbst berichten. Zu bemerken ist jedoch, dass er das nicht während des Traumerlebens kann, sondern nur aufgrund seinen Erinnerungen, also in einem anderen Bewusstseinszustand. Deshalb ist es für die Wissenschaft oft schwierig, allgemeingültige Erkenntnisse über die Funktion des Träumens zu gewinnen. Ob und welche Bedeutung Träume haben, ist deshalb unter Psychologen umstritten.

Hypothesen über die Bedeutung von Träumen

Die Theorien über die Bedeutung von Träumen sind vielfältig. Im Altertum wurden sie als Botschaften von Gott bzw. Göttern oder Dämonen gesehen. Propheten weissagten mithilfe von Träumen die Zukunft. Für Schamanen ist der Traum ein Tor zu einer anderen Wirklichkeit, die sie für ebenso real halten, wie unsere Alltagswirklichkeit.

Für Sigmund Freud, den Begründer der Psychoanalyse waren Träume symbolisch verkleidete Wünsche sexueller Natur. Diese Interpretation war seinem Schüler Carl Gustav Jung zu einseitig. Er war der Meinung, dass ein Traumsymbol nicht nur ein verschleiertes Abbild einer realen Person oder äußeren Objekts war, sondern Aspekte des Selbst des Träumers. Während Freud einen Traum ausschließlich mit der Biografie des Träumers in Verbindung brachte, konnte für Jung ein Traumsymbol auch den Ursprung in dem von ihm postulierten kollektiven Unbewussten haben. Deshalb zog er Symbole aus der menschheitsgeschichtlichen Mythologie in seine Deutung mit ein.

Ähnlich wie C.G. Jung waren Träume für den Gestalttherapeuten Fritz Perls Ausdruck der Persönlichkeit des Träumers. Um die abgespaltenen Aspekte in die Persönlichkeit zu integrieren und dadurch wieder ganz und heil zu werden, leitete er seine Klienten an, sich in einem Rollenspiel mit allen Teilen des Traumes zu identifizieren. Durch den gespielten Dialog sollte eine Verbindung entstehen zwischen all den unterschiedlichen Traumteilen. Auf diese Weise wollte Perls seinen Klienten helfen, innere Widersprüche anzunehmen und seelische Konflikte aufzulösen.

Wie kann man mit Albträumen umgehen?

Psychotherapeuten, die in der Tradition des berühmten Hypnosetherapeuten Milton Erickson, einen lösungsorientierten Ansatz verfolgen, nutzen das Träumen wiederum als Möglichkeit, um schöpferische Antworten auf Fragen und Probleme im Leben zu erhalten.

Diese lösungsorientierte Herangehensweise können Sie, liebe Leserinnen und Leser, leicht selber nutzen, um Albträumen eine neue Wendung zu geben. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie wären ein Regisseur oder Drehbuchautor. Welche Veränderungen würden Sie an Ihrem Traum vornehmen wollen? Welche Figuren und Requisiten dazu nehmen oder entfernen? Welche Rollen würden Sie in Ihrem Traum neu besetzen? Wie könnte der Traum weitergehen, damit es zum Happy End kommt? Schreiben Sie Ihren neuen Traum auf, so als würden Sie ihn gerade in diesem Moment träumen – und lassen Sie sich überraschen, wie sich dabei Ihre Gefühlslage verändert.

Hochsensible Personen, die sich auf diese Form der Traumdeutung einlassen können, sind meist sehr kreativ und können durch die Veränderungsarbeit Ihr Gefühlsleben nach einem Albtraum regulieren lernen.

Wie viel Beachtung soll ich meinen Träumen schenken?

Ich gehe davon aus, dass ein Traum solange bedeutungslos bleibt, bis sich jemand mit ihm beschäftigt und ihm eine Bedeutung verleiht. Wie der Psychotherapeut und Autor Frank Staemmler (1995) treffend feststellt, beginnt die Vergabe von Bedeutung „schon mit der ebenso alten, wie weit verbreiteten Annahme, Träume enthielten wichtige Botschaften für den Träumer, oder auch mit ihrem krassen Gegenteil, nach dem Träume nur ‚mentalen Salat‘ darstellen.“ Mit anderen Worten: Auch die Auffassung, dass ein Traum keine Bedeutung habe, ist genau genommen eine Zuschreibung von Bedeutung.

In dem Moment, in dem Sie sich fragen, ob oder was ein Traum zu bedeuten hat, beschäftigen Sie sich schon mit ihm. Warum ihn dann nicht mithilfe einer ganzheitlichen psychologischen Traumdeutung nutzen, um das eigene Seelenleben besser zu verstehen?

Warum ist ganzheitliche psychologische Traumdeutung für hochsensible Personen hilfreich?

Hochsensible Personen haben nicht nur eine feinere Wahrnehmung und ein intensiveres Gefühlsleben. Da sie tagsüber viele Eindrücke in sich aufnehmen, liegt der Schluss nahe, dass sie diese während der Nacht in ihren Träumen verarbeiten müssen.

Das „Abschalten“ fällt ihnen oft auch während der Nachtruhe schwerer. Während weniger sensible Klienten mich fragen, was sie tun müssten, um sich besser an ihre Träume zu erinnern, fällt es Hochsensiblen meist nicht schwer, von ihren Träumen zu berichten. Doch wenn es hochsensiblen Menschen nicht gelingt, ihre Fähigkeiten und ihre besondere Gabe in den Austausch mit anderen Menschen einzubringen, dann leiden sie meist auch verstärkt unter Albträumen. Da hochsensible Menschen überdurchschnittlich an ethischen Fragen interessiert sind und einen Sinn im Leben brauchen, suchen sie oft auch nach der Bedeutung ihrer Träume. Tun sie das alleine, neigen diejenigen, die nicht fest im Hier-und-Jetzt verankert sind, dazu, sich in ihren Träumen zu verlieren. Verstärkt wird die Problematik, wenn hochsensible Personen sich aufgrund von Kränkungserfahrungen nicht trauen, mit anderen Menschen über ihr reiches Seelenleben und ihre Träume zu sprechen, sondern sich innerlich zurückziehen und vereinsamen.

Wir Menschen sind aufgrund unserer Natur Beziehungswesen. Wenn wir versuchen unsere Träume alleine im stillen Kämmerlein zu deuten, bleiben wir in unserer eigenen Welt gefangen. Es fehlt der ergänzende, Sinn stiftende Austausch. Denn wie der Religionsphilosoph Martin Buber in seinem Werk „Ich und Du“ schreibt: „Alles Wirkliche im Leben ist Begegnung.“

Darum kann es für eine hochsensible Person eine heilsame Erfahrung sein, einem empathischen, respektvollen und wertschätzendem Gegenüber bei einer Traumdeutung Einblicke in das eigene Seelenleben zu gewähren.

Was ist ganzheitliche Traumdeutung?

In meiner ganzheitlichen Traumarbeit orientiere ich mich immer an der individuellen Fragestellung meines Gegenübers. Einen Traum anhand von Traumsymbolen aus einem Traumlexikon zu deuten, ist mir zu unpersönlich. Vielmehr entsteht eine zu den Lebensumständen und der Biografie passende Deutung im kreativen gemeinsamen Dialog. Ganzheitlich zu denken heißt für mich, nicht eine einzelne Theorie als gültig anzunehmen, sondern verschiedene Hypothesen einzubeziehen und mich empathisch einzufühlen.

Judith, die mich aufgrund ihres wiederkehrenden Traumes anrief, entdeckte, dass sie ihre Trauer über einen bestimmten Verlust im Leben aus ihrem Alltag gesperrt hatte und diese sie deshalb auf bizarre Weise in ihrem wiederkehrenden Traum aufsuchte. Im Laufe der Zeit gelang es ihr, neue Details in ihren Träumen zu entdecken. Zugleich konnte sie Veränderungen in ihrem Leben vornehmen und mit Vergangenem abschließen.

Michael Schramm, Gestalt- und Hypnosetherapeut
Netzwerkmitglied für Eckental,
www.hypnosepraxis.info,


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2 Kommentare

  1. Hallo Ingrid,

    vielen Dank für Deinen Kommentar!

    Du fragst Dich, wie _man_ mit einem belastenden Traumszenario umgehen kann, einem Traum, der immer wieder zu dem gleichen, emotional unbefriedigendem oder gar aufwühlenden Ende führt.

    Nun, eine universell gültige Antwort darauf, ein Patentrezept habe ich leider nicht – das würde auch meiner Philosophie widersprechen, mit jedem Menschen persönliche und individuelle Lösungen zu finden.

    Wie ich in einem anderen Artikel über Traumdeutung schreibe, gibt es viele verschiedene Herangehensweisen.
    http://www.hypnosepraxis.info/nuernberg/traumdeutung-nuernberg

    Wenn man einen Traum und die damit verbundenen Gefühle verändern möchte, ist es aus meiner Sicht letztendlich entscheidend, etwas Neues in das „System“, also das die Gedanken und Gefühlswelt einzubringen, neue Ideen und Impulse, die das gewohnte Denken und Fühlen ein wenig durcheinanderbringt. Dadurch kann Veränderung angestoßen werden.

    Mit einem Gegenüber ist dies leichter als in Eigenregie. Man bewegt sich selbst ja irgendwie meist in seiner eigenen „Blase“, kann selbst schlecht aus seiner eigenen Haut , braucht zur Veränderung deshalb oft einen Anstoß von Außen.

    Was Du alleine gut machen kannst ist, zu versuchen, kreativ mit dem Traum zu arbeiten. Du kannst Deine Phantasie nutzen und so tun als ob Du Dein eigener Drehbuchautor wärst. Setz Dich hin und schreibe, während Du Dich an Deinen Traum erinnerst, alternative Szenarien, wie der Traum ausgeht. Bringe nach und nach kleine Veränderungen der Handlung ein. Vertraue darauf, dass Dein kreatives Selbst diese Veränderungen wahrnimmt und sich das dann auch nach und noch in Deinen nächtlichen Träumen wiederspiegelt.

    Viele Grüße
    Michael Schramm

  2. …wie ist das denn, mit den immer wiederkehrenden Träumen?

    Weniger von Symbolen gezeichnet, sondern von Gefühlen.
    Ganz reale Szenen, die durchaus im Leben vorkommen könnten, sogar vorkommen würden.
    Mit immer dem gleichen Ausgang.
    Ein Rückblick, der nur durch den Tod nicht zustande gekommen ist…..
    Wohl ähnlich dem letzten Absatz des Berichtes.

    Wie kann man solch ein belastendes Szenario „zum Abschluss“ bringen?

    Wie ist das mit Träumen, die einem Jahrzehnte in Erinnerung bleiben?

    Ein spannendes Thema. Vielleicht deshalb, weil ich nur so besondere Träume, mit in den Tag nehme….

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