3 Gründe, warum Hochsensiblen Perfektionismus nicht guttut

Gründe warum Hochsensiblen Perfektionismus nicht guttut, Fachartikel, Bild01

(Von Luca Rohleder) Perfektionismus klingt auf den ersten Blick wie eine Stärke. Sorgfalt, Anspruch, Qualität, ein feines Auge für Details. Viele hochsensible Menschen erkennen Fehler früh, spüren Unstimmigkeiten schnell und möchten Dinge gern „richtig“ machen.

Das kann im Job, in Beziehungen und im Alltag beeindruckend wirken.

Gleichzeitig ist Perfektionismus für Hochsensible oft kein netter Extraanspruch, sondern ein innerer Druck, der langfristig Kraft raubt.

Denn Hochsensibilität bedeutet häufig: tiefe Verarbeitung, hohe Empathie, eine starke innere Resonanz auf Erwartungen, Stimmungen und Bewertungen. Genau diese Eigenschaften machen Perfektionismus besonders verführerisch und besonders teuer. Er fühlt sich an wie Sicherheit, ist aber oft ein Energieleck.

Hier sind drei Gründe, warum Perfektionismus Hochsensiblen meist nicht guttut.

Grund 1: Perfektionismus verstärkt Reizüberflutung, statt sie zu reduzieren

Hochsensible nehmen mehr wahr. Das betrifft nicht nur Geräusche oder Stimmungen, sondern auch Details in Aufgaben: Formulierungen, kleine Fehler, Ungenauigkeiten, logische Brüche, Unstimmigkeiten im Design, Tonalität in einer E Mail. Das ist eine Fähigkeit. Perfektionismus macht daraus jedoch eine Pflicht.

Wenn du hochsensibel bist, kann dein Gehirn ohnehin schlecht „über Kleinigkeiten hinwegsehen“.

Perfektionismus setzt noch einen drauf: Er sagt dir, du dürftest erst aufhören, wenn alles wirklich perfekt ist. Das führt dazu, dass du dich länger in Aufgaben aufhältst, mehr kontrollierst, mehr nachbesserst und häufiger gedanklich zurückspringst.

Was bei anderen „kurz fertig“ ist, wird bei dir ein Prozess aus prüfen, optimieren, nachdenken, nochmal prüfen. Und während du das tust, läuft dein System weiter auf Hochtouren. Mehr Zeit in der Aufgabe bedeutet auch mehr Zeit in Reizen, mehr Zeit in Anspannung, mehr Zeit im mentalen Lärm.

Typische Folgen sind:

  • Du brauchst deutlich länger als geplant und bist trotzdem unzufrieden.
  • Du fühlst dich nach einfachen Aufgaben übermäßig erschöpft.
  • Du kommst schwer in den Feierabend, weil dein Kopf noch nachoptimiert.
  • Du hast das Gefühl, nie wirklich fertig zu sein.

Perfektionismus verspricht Entlastung durch Kontrolle. Für Hochsensible produziert er oft das Gegenteil: noch mehr innere Lautstärke.

Grund 2: Perfektionismus macht die Angst vor Bewertung größer

Viele hochsensible Menschen sind nicht nur detailorientiert, sondern auch sehr empfänglich für zwischenmenschliche Signale. Ein kurzer Blick, ein knapper Kommentar, eine ausbleibende Rückmeldung kann schon reichen, um innerlich Interpretationsketten zu starten. Perfektionismus dockt genau daran an.

Denn Perfektionismus ist häufig nicht einfach der Wunsch nach Qualität, sondern die Hoffnung, mit Qualität unangreifbar zu werden. Wenn ich alles perfekt mache, kann niemand meckern. Wenn ich es perfekt mache, werde ich nicht kritisiert. Wenn es perfekt ist, bin ich sicher.

Das Problem: Diese Sicherheit stellt sich fast nie ein.

Stattdessen steigt die innere Anspannung. Du kontrollierst nicht nur deine Arbeit, sondern auch die mögliche Reaktion anderer. Du überarbeitest Texte, bevor du sie abschickst. Du formulierst vorsichtiger, glätter, diplomatischer. Du denkst in Szenarien. Und je wichtiger etwas ist, desto stärker wird die Schleife.

Für Hochsensible bedeutet das oft:

  • Du vermeidest Sichtbarkeit, obwohl du viel kannst.
  • Du schiebst Dinge auf, weil sie „noch nicht gut genug“ sind.
  • Du hast nach Abgaben oder Gesprächen Grübelphasen.
  • Kritik trifft dich tiefer, weil sie deinen inneren Maßstab bestätigt

Perfektionismus ist dann nicht mehr Qualität, sondern Schutzstrategie. Und Schutzstrategien kosten Energie. Jeden Tag.

Grund 3: Perfektionismus kippt schnell in Selbstabwertung und Erschöpfung

Hochsensible haben häufig ein starkes Inneres. Sie fühlen intensiv. Sie denken gründlich. Sie reflektieren viel. Das ist wertvoll, kann aber auch dazu führen, dass Fehler oder Unperfektheit nicht nur als „da ist etwas schiefgelaufen“ erlebt werden, sondern als „ich bin nicht gut genug“.

Perfektionismus verschiebt den Fokus: weg von Lernen und Entwicklung, hin zu Bewertung und Identität.

Dann wird ein kleiner Fehler zum Beweis, dass du versagt hast. Ein nicht perfekter Tag wird zum Zeichen, dass du es nicht im Griff hast. Ein Nein von außen wird zu einem inneren Urteil.

Und weil Hochsensible Eindrücke tiefer verarbeiten, bleibt dieses Urteil oft länger hängen. Das Nervensystem kommt nicht so leicht zurück in Neutralität. Was andere schnell abhaken, läuft bei dir noch in Schleifen. Das ist nicht dramatisch, sondern neurologisch nachvollziehbar. Aber es ist anstrengend.

Perfektionismus führt hier häufig zu einem Kreislauf:

  • Hoher Anspruch, hohe Anspannung.
  • Überleistung, Überprüfung, wenig Pause.
  • Erschöpfung, Fehleranfälligkeit, Unzufriedenheit.
  • Selbstkritik, noch höherer Anspruch, noch weniger Selbstmitgefühl

So entsteht das Paradox: Du gibst immer mehr, fühlst dich aber immer weniger gut. Und irgendwann ist nicht nur die Energie weg, sondern auch die Freude.

3 Gründe, warum Hochsensiblen Perfektionismus nicht guttut, Tafel mit Kreideschrift

Was hilft Hochsensiblen statt Perfektionismus?

Perfektionismus ist selten etwas, das man einfach „abschaltet“. Vor allem nicht, wenn er sich jahrelang wie ein Sicherheitsgurt angefühlt hat. Aber du kannst ihn in etwas umwandeln, das Hochsensiblen wirklich dient: in bewusste Sorgfalt mit Grenzen.

Ein paar Ideen, die oft entlasten:

1) Arbeite mit einem „gut genug“ Standard

Definiere vor Beginn: Was ist heute ausreichend? Welche Qualität ist passend, nicht maximal? „Gut genug“ ist kein Qualitätsverlust, sondern Energiehygiene.

2) Setze ein Ende, bevor du startest

Perfektionismus liebt offene Schleifen. Plane feste Zeiten: 60 Minuten schreiben, 15 Minuten überarbeiten, dann abschicken. Das schützt dich vor Endlosoptimierung.

3) Trenne Qualität von Selbstwert

Du bist nicht deine Leistung. Ein Ergebnis kann unperfekt sein, ohne dass du weniger wert bist. Klingt simpel, ist aber für Hochsensible eine zentrale Übung.

4) Reduziere Reizdichte, bevor du optimierst

Wenn du müde bist, wird Perfektionismus lauter. Sorge zuerst für Ruhe, Essen, Pause, einen Spaziergang. Danach sieht vieles automatisch „ausreichend“ aus.

5) Frage dich: Für wen muss es perfekt sein?

Oft ist nicht die Aufgabe das Problem, sondern die angenommene Erwartung. Manchmal reicht ein ehrlicher, klarer Standard mehr als ein makelloser.

3 Gründe, warum Hochsensiblen Perfektionismus nicht guttut, Schilder Stress und Relax

Fazit: Hochsensibilität braucht Qualität, aber nicht Perfektion

Hochsensible Menschen haben oft einen natürlichen Sinn für Tiefe, Stimmigkeit und Qualität. Das ist ein Geschenk. Perfektionismus macht daraus einen Druck, der Reizüberflutung verstärkt, Bewertungsangst füttert und langfristig in Erschöpfung kippen kann.

Wenn du hochsensibel bist, ist die entscheidende Frage nicht: Wie kann ich es perfekt machen? Sondern:

Wie kann ich es gut machen, ohne mich dabei zu verlieren?

Denn am Ende ist das, was dir wirklich guttut, nicht makellose Leistung. Sondern ein Leben, in dem du atmen kannst.

Luca Rohleder, Gründer des Netzwerks und Autor von:

Die Suche nach Sinn, Buch von Luca Rohleder, Coverabbildung

Luca Rohleder
DIE SUCHE NACH SINN
Eine Geschichte über Urvertrauen und Selbstliebe. Das polyamore Selbstfindungsabenteuer einer Wissenschaftsjournalistin.

> ISBN 9783982303246

> bei Thalia (D) anschauen
> bei Thalia (A) anschauen
> bei orell füssli (CH) anschauen
> bei Amazon anschauen

Häufig gestellte Fragen zu Perfektionismus (FAQs)

Woran merke ich, dass ich unter Perfektionismus leide?

Wenn du trotz guter Ergebnisse selten zufrieden bist, viel nachbesserst, schlecht abschalten kannst oder Aufgaben endlos werden, ist es meist Perfektionismus und nicht nur Sorgfalt.

Warum macht Perfektionismus Hochsensible schneller müde?

Weil du mehr Details wahrnimmst und Perfektionismus dich zwingt, diese Details ständig zu kontrollieren und zu optimieren. Das erhöht Reizdichte, Anspannung und Denkaufwand.

Warum habe ich bei Perfektionismus oft so viel Angst vor Bewertung?

Weil Perfektionismus sich wie Schutz anfühlt: Wenn alles perfekt ist, kann niemand kritisieren. Das Problem ist, dass die innere Sicherheit trotzdem kaum entsteht und der Druck eher steigt.

Was kann ich tun, wenn ich mich nach Fehlern sofort schlecht fühle?

Hilft oft: Qualität von Selbstwert trennen. Ein Fehler bedeutet, dass etwas nicht perfekt war, nicht dass du „nicht gut genug“ bist. Auch kurze Pausen und Abstand stoppen Grübelschleifen.

Wie komme ich praktisch aus der Endlos-Optimierung raus?

Setze vorab einen „gut genug“ Standard und ein klares Zeitlimit. Zum Beispiel: 60 Minuten erstellen, 15 Minuten prüfen, dann abschicken. So bleibt Qualität, ohne dass du dich auspowerst.

3 Kommentare

  1. Ich steh mir seit Jahren im Weg. Wer das Problem nicht hat, sollte vielleicht einfach den Mund halten. Viele Coach sind unnötig, doch viele helfen weiter. Ich hab hier Antworten gefunden. Danke

  2. Liebe Christiane Kilian, dem ist nichts hinzuzufügen. Danke für diese KLAREN Worte.
    Ein „Coach“ hat halt nicht viel zu tun (verdient nix), wenn er die Menschen lässt wie sie sind. Deshalb fordern sie ständig vom Klienten „an sich zu arbeiten“. Dass es da hauptsächlich um
    ihre eigenen Interessen geht, Geld verdienen, ist absolut offensichtlich.
    Ich hoffe dieser Berufszweig löst sich bald in Luft auf.

  3. Unser Selbstwertgefühl ist in dieser Hinsicht entscheidend. Ich fühle mich nicht gemocht oder willkommen; was kann ich tun? Weil sie grundlegende menschliche Bedürfnisse wie Schutz, Sicherheit und Zugehörigkeit befriedigen – Bedürfnisse, von denen wir glauben, dass sie auf keine andere Weise befriedigt werden können -, haben Autofahrer einen hohen Suchtfaktor.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert