Innere Konflikte für extrovertiert hochsensible Menschen

Innere Konflikte für extrovertiert hochsensible Menschen, Beitragsbild

(fhu-db130) Es sind inzwischen viele Tipps und Tricks für Hochsensible bekannt, die auch gut funktionieren bei den „typisch hochsensiblen“ Themen und Herausforderungen. Doch es gibt eine Gruppe unter den Hochsensiblen für die diese nicht die beste Lösung zu sein scheinen: Die extrovertiert hochsensible Menschen!

Friederike Hüsken, Netzwerkmitglied
Ein Beitrag von Friederike Hüsken

(fachsprachlich wird übrigens von Extravertiertheit und extravertiert gesprochen, der Einfachheit halber wird in die diesem Artikel der umgangssprachliche Begriff „extrovertiert“ und “ Extroversion“ verwendet)

Die Extroversion beschreibt die Eigenschaft einer Person, eher nach Außen gerichtet zu sein.

Extrovertierte Menschen ziehen viel Energie aus Erlebnissen, Kontakten, Austausch usw. Sie sind gesprächig, kontaktfreudig, unternehmungslustig und zeigen sich gern. Introvertierte Menschen hingegen ziehen ihre Energie oft aus sich selbst, sind eher zurückhaltend, hören lieber zu und Gruppen und Events sind eher anstrengend und zehrend. Introversion ist allerdings nicht dasselbe wie Schüchternheit! Introvertierte Personen haben eher nicht das Bedürfnis viel unter Menschen sein zu wollen und sind damit zufrieden.

Es ist wichtig zu wissen, dass es kaum jemanden gibt, der ausschließlich extro- oder introvertiert ist.

Das wären die Extreme. Wir bewegen uns meist an dem einen oder dem anderen Rand des Mittelfeldes zwischen diesen beiden Polen. Es gibt auch Menschen, die je nach Situation zwischen den beiden Extremen hin und her schwenken. Sie sind dann ambivertiert. Die meisten Menschen sortieren sich jedoch ein in eher extro- oder eher introvertiert.

Oft höre ich jedoch die Assoziation, dass hochsensible Menschen automatisch introvertiert seien. Das ist auch oft der Fall. Ebenso oft ist dies dann mit Problemen wie schneller Überreizung usw. verbunden. Viele „Intros“ wissen um ihre Introvertiertheit und haben ihr Leben bereits danach ausgerichtet. Sie wissen dann, welche Reize und Auslöser sie überfordern, welche Situationen sie lieber meiden und wann sie sich besser zurückziehen. Allerdings sind ca.15 % der hochsensiblen Personen extrovertiert.

Extrovertiert hochsensible Menschen

Und viele von ihnen wissen es nicht mal, da ja oft die (Fehl-) Annahme besteht, dass Hochsensible nicht extrovertiert sein „können“. Das kann fatale Folgen haben. Denn die Überreizung bei Extroversion wird nicht in dem Moment gespürt, in dem sie passiert.

Die „Extros“ sehnen sich nach Austausch, wollen Erfahrungen einsammeln und unternehmen viel.

Sie werden in der entsprechenden Situation mit Eindrücken und Impulsen befeuert. Da das System, platt gesagt, damit beschäftigt ist, das alles toll zu finden und immer mehr davon haben will, gibt es auch kaum ein Signal, dass z. B. die Aufnahmekapazität schon längst überschritten wurde. Oder diese Grenze wird nicht wahrgenommen, da ggf. gar kein Anlass dafür besteht überhaupt auf die Idee zu kommen, dass hier ein klassischer Fall von mangelnder Abgrenzung besteht. Nur diesmal ist sie viel mehr „interner Natur“ als anderen Menschen gegenüber.

Denn extrovertierte Hochsensible sind ja nicht nur extrovertiert, sondern auch hochsensibel.

Wird dem Bedürfnis des hochsensiblen Anteils nach einem heimischen Serienmarathon am Samstagabend nachgegangen, piekst der extrovertierte Anteil mit „wärst du mal mitgegangen“ und malt die schönsten Bilder, was man alles verpasst. Bekommt hingegen der extrovertierte Anteil bei dem Absacker in der Bar nach der Kinospätvorstellung sein Bedürfnis gestillt, hat der hochsensible Anteil schon längst das Handtuch geworfen.

Die Folgen der Überreizung in diesem Fall werden allerdings erst später gespürt: in Ruhe, im Bett oder auf dem Sofa. Dies kann so unangenehm sein, dass (manchmal unbewusst) entspannende Aktivitäten/Momente regelrecht vermieden werden oder der Weg nach Hause so lange wie möglich hinausgezögert wird.

Eine gute Gelegenheit für den berühmten Teufelskreis: um das unangenehme in Ruhe-Kommen zu vermeiden (in dem Nicht-Wissen um die Auslöser) werden noch mehr Aktivitäten geplant. Und so erhöht sich das Risiko, sich bis zum Burn-Out völlig zu erschöpfen, da kaum Regeneration möglich ist. Die berühmte Krux in der Geschichte ist, dass der besagte goldene Mittelweg eigentlich nicht möglich ist.

Es können nicht gleichzeitig die Bedürfnisse des hochsensiblen UND des extrovertierten Anteils befriedigt werden.

Das erklärt auch, warum viele hochsensible (nicht nur) „Extros“ unfassbare Entscheidungsschwierigkeiten haben. Insbesondere bei der Freizeitgestaltung und Alltagsplanung. Ein ganzer Reigen voll Rattenschwänze hängt z. B. an der simplen Frage: „Willst du mit zum Konzert?“ Diese Frage ist für viele nicht mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten. Was ehrlicherweise auch kein Wunder ist, wenn sich zwei so gegensätzliche Anteile zu Wort melden, die Gegensätzliches antworten wollen. Wie kommt man nun raus aus dem Dilemma?

Sich der Extrovertiertheit bewusst werden

Der erste Schritt ist, sich bewusst zu werden über diesen inneren Konflikt. Wenn ich weiß, dass ich extrovertiert hochsensibel bin, kann ich mich und meine gegensätzlichen Bedürfnisse besser verstehen.

Wenn schon nicht beide Anteile den Zuschlag für den Samstagabend bekommen können – quasi „Sofa versus Kino“ – , ist es vielleicht möglich ins Verhandeln zu kommen. Mit sich selbst, seinen Anteilen und natürlich dem Gegenüber: „Ja, ich komme gern mit, aber dann bitte die frühere Vorstellung“, „Ja, lass uns gern essen gehen, ICH suche dann aber das Restaurant aus“ (für viele hochsensible Menschen kann ein für sie nicht passendes Restaurant in einem großen Überreizungsdrama enden) oder auch ein „Ja, ich komme mit zur Party – aber ich fahre, dann bin ich unabhängig“ können ein guter Anfang sein für ein gelungenes Bedürfnismanagement.

Manchmal ist es auch hilfreich nach einer aufregenden Veranstaltung o. ä. noch eine Zwischenstation einzubauen, um das Erregungsniveau langsam zu regulieren und das System nicht zu überfordern.

Dabei gilt Try and Error. Die einen gehen nach der Arbeit noch zum Sport, andere gucken nach der Party noch etwas fern, wieder andere fahren nach dem Wochenende bei Freunden nochmal auf ein Käffchen bei Mutti vorbei.

Am wichtigsten ist jedoch, zu der eigenen Entscheidung zu stehen und sich diese dann nicht vorzuwerfen („wär ich bloß zu Haus geblieben/ mitgegangen“)

Das, was hilfreich ist, ist total individuell. Und das, was hilfreich ist, hat Recht 🙂

Friederike Hüsken, Fachberaterin für Hochsensibilität, www.sensibelle.de, Netzwerkmitglied für 24113 Kiel (D)


Bücher für empfindsame Menschen

Ähnliche Beiträge

5 Kommentare

  1. Danke dadurch erschließen sich für mich neue Aspekte meiner Ambivalenz gegenüber Angeboten und Einladungen meiner Freundinnen, Freunde, Verwandten etc. Jetzt habe ich wieder was zum Nachdenken ☺️

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert