Hochsensibilität im Business

Hochsensibilität im Business, Fachartikel von Julia Breuer

(jbr-db013-b01) Hochsensibilität im Business – oder: Unser aller Wunsch nach Sinn, Zugehörigkeit und (psychologischer) Sicherheit.

Julia Breuer
Ein Beitrag von Julia Breuer

Frédéric Laloux, Berater und Executive Coach sowie Autor des Buchs “Reinventing Organisations”, sieht ein neues Bedürfnis nach Sinn in der Arbeitswelt. Er ist davon überzeugt, dass Menschen das Bedürfnis haben, sich auch bei der Arbeit tief zu begegnen, gesehen zu werden und nicht nur oberflächlich eine Rolle zu spielen. Hinter diesem Bedürfnis, stecken tiefe Wünsche, die jede/r von uns in sich trägt:

  • sich authentisch zeigen zu können, ohne Gefahr zu laufen, abgelehnt zu werden.
  • gesehen und anerkannt zu werden. Ohne sich verstellen oder verbiegen zu müssen.
  • dazuzugehören und sich verbunden zu fühlen.

Vor allem erhöht neurosensitive (im üblichen Sprachgebrauch als hochsensibel bezeichnet) Mitarbeiter:innen und Führungskräfte haben häufig die Erfahrung gemacht, sich mit ihrem Persönlichkeitsmerkmal im beruflichen Kontext besser nicht zu zeigen und lieber die Rolle zu spielen, die (vermeintlich) von ihnen erwartet wird.

Aufgrund einer ausgeprägten Wahrnehmungsfähigkeit von inneren und äußeren Reizen, werden bei erhöht neurosensitiven Menschen mehr Informationen tiefer und auch intensiver erlebt und verarbeitet. Darüber hinaus erfolgt ein längerer Nachhall der gemachten Erfahrungen. Infolgedessen muss das System eines erhöht neurosensitiven Menschen bereits eine stärkere Grundbelastung verarbeiten. Was bedeutet, dass noch bevor die Interaktion mit der Umwelt weitere Reize liefert, im System unheimlich viel passiert.

Unter diesen Umständen sind alle im Körper wirksamen Informationsübertragungssysteme damit beschäftigt, die ständige Reaktions- und Adaptionsfähigkeit des gesamten Systems sicherzustellen.

Dieses Erleben kann dazu führen, sich anders als andere und deswegen falsch zu fühlen. Insbesondere wenn feinfühlige Menschen (noch) nicht um die Besonderheiten ihrer Persönlichkeitsausprägung wissen, kann daraus ein stetiges Gefühl entstehen, nicht belastbar, zu empfindlich oder nicht „tough“ genug für die Unternehmenswelt zu sein.

Um mitzuhalten und dazuzugehören entwickelt sich häufig ein ungeheurer Leistungsanspruch an sich selbst, gepaart mit dem Übergehen der eigenen Bedürfnisse (nach Pausen, Rückzug, etc.).

Oder um es in den Worten Lalouxs zu sagen:

„Ich probiere das perfekte Rädchen zu sein und das bringt auch mit sich, dass ich mich verstelle.“

Die Gründe und Folgen dieses Verhaltens betreffen selbstverständlich nicht nur erhöht neurosensitive Menschen. Das „Höher-schneller-weiter“ Denken und Handeln unserer Leistungsgesellschaft hat uns schon länger an unsere Grenzen gebracht. Wir können gar nicht so schnell laufen, wie wir laufen müssten, um all den Anforderungen, Erwartungen und Reizen im Außen gerecht zu werden.

Das Gefühl einer beständigen Überforderung und eigentlich immer zu wenig Zeit zu haben und vielleicht auch das Gefühl nicht zu genügen, kann irgendwann bis hin zur Erschöpfung führen.

Das passiert bei einem erhöht neurosensitiven System aufgrund der intensiveren Reizverarbeitung vielleicht schneller, zeigt aber auch auf, was für alle nicht gut ist.

Insbesondere in den vergangenen Jahren der Pandemie, haben viele von uns das Gefühl der Verbundenheit verloren. Auf der Suche nach Zugehörigkeit sowie Halt und Sicherheit, sind wir häufig über unsere körperlichen und mentalen Grenzen gegangen.

Das Erkunden, Wahrnehmen und dem Folgen der individuellen Ressourcen, Bedürfnisse und Besonderheiten ist essentiell, damit es gar nicht erst zur Erschöpfung kommt.

Um emotional nicht auszubrennen ist jedoch auch der Blick „nach außen“ wichtig. Denn in allen von uns, unabhängig vom Grad der individuellen Sensibilität, steckt eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit.

Was also braucht es, in beruflichen (und auch in privaten Beziehungen), um unser Grundbedürfnis nach Verbindung zu stillen?

Richard G. Erskine (amerikanischer Professor der Psychologie und Transaktionsanalytiker) hat 8 Beziehungsbedürfnisse definiert, die aus seiner Sicht entscheidend für die Lebensqualität und das Bewusstsein für den eigenen Wert in persönlichen und beruflichen Beziehungen sind:

1. Sicherheit

Angenommen zu sein, zu wissen woran ich bin. Vor allem, so sein zu dürfen, wie ich bin. Ohne Angst haben zu müssen, beschämt zu werden.

2. Wertschätzung

Mich mit all meinen Gefühlen, Bedürfnissen und Wahrnehmungen verstanden, respektiert und bedeutsam zu fühlen.

3. Schutz

Mich anvertrauen zu können. Zusammen den Weg durch schwierige Zeiten zu finden und dabei Ermutigung, Orientierung und Führung zu erfahren.

4. Bestätigung der Erfahrungen

Meine eigenen Erfahrungen werden von anderen geteilt oder nachvollzogen.

5. Selbstdefinition

Meine persönliche Einzigartigkeit zu erkennen und auszudrücken und dafür Anerkennung und Annahme zu erfahren.

6. Einflussnahme

Bei anderen etwas auslösen und verändern zu können und mich dadurch als wirksam und bedeutsam zu erleben.

7. Initiative der anderen

Erleben, dass andere die Initiative ergreifen und aktiv auf mich zukommen und Anregung vermitteln. Dadurch werden Beziehungen bedeutsamer und intensiver.

8. Liebe ausdrücken

anderen gegenüber Sympathie, Liebe, Fürsorge, Dankbarkeit oder Zuneigung zeigen und aussprechen. Ohne die Resonanz des anderen kann in Beziehung sein nicht schwingen.

Vielleicht regen dich die nachfolgenden Fragen zur weiteren Reflexion an:

  • Welche meiner Beziehungsbedürfnisse werden derzeit in meinem/r Unternehmen/Organisation/Institution erfüllt?
  • Welche nicht?
  • Woran liegt es, dass diese Beziehungsbedürfnisse nicht oder nur teilweise erfüllt werden (Unternehmenskultur, Führungskultur, einzelne Personen, Angst, Tabus …)?
  • Welche meiner im professionellen Kontext nicht oder nur unzureichend erfüllten Beziehungsbedürfnisse können auf der persönlichen Ebene im privaten Bereich kompensiert werden. Welche stellen echte Defizite dar?
  • Was kann ich tun, damit meine Beziehungsbedürfnisse besser erfüllt werden?

Beziehung entsteht nicht alleine:

Indem ich mir meiner Beziehungsbedürfnisse bewusst werde und angemessen zum Ausdruck bringe, lade ich zu einer authentischen Beziehung ein. Ob diese sich dann tatsächlich ereignet, hängt davon ab, ob mein Gegenüber bereit und in der Lage ist, diese Einladung anzunehmen.

Julia Breuer, Coaching I Beratung I Entwicklung
Netzwerkmitglied für 20251 Hamburg (D),
www.haltundhaltung.de


Literatur und Quellennachweis:
https://www.xing.com/news/articles
ERSKINE, RICHARD G. (2002). Relational Needs, EATA Newsletter Nr. 73 (deutsch: Beziehungsbedürfnisse, ZTA 2008, Heft 4, S. 287 – 297)


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