Mach doch einfach mal Pause!

Mach doch einfach mal Pause!, Fachartikel

(jbe-db019-b01) „Mach` doch einfach mal Pause!“ – Warum wir verlernt haben Pausen zu machen und wie es gelingen kann, uns selbst und unsere Bedürfnisse wieder wahrzunehmen.

Julia Breuer
Ein Beitrag von Julia Breuer

Wir leben in einer Gesellschaft, die von Leistung, Beschleunigung und ständiger Erreichbarkeit geprägt ist. In einer Gesellschaft, in der das Gefühl des Gehetztseins zum Dauerzustand geworden ist.

Leisten und Funktionieren wird oft über alles gestellt. Nichtstun gilt als unproduktiv und Verschwendung von (Lebens-)Zeit. Sowohl im Beruf als auch in der Freizeit (Stichwort: Fear of Missing Out).

Um uns wertvoll, anerkannt, dazugehörig und liebenswert zu fühlen, leisten wir und strengen uns an. Teilweise bis zur Erschöpfung.

Pause? Sorry, keine Zeit! Wir hetzen durch die Arbeitswoche und leben von Wochenende zu Wochenende. Welches wir uns teilweise ebenso Vollpacken, weil ja unter der Woche so viel an XYZ liegen geblieben ist.

Wir halten durch bis zum Urlaub und können dann doch nicht runterfahren und abschalten. Weil das auf Knopfdruck ziemlich schwierig und zwischendurch auf das Firmenhandy zu schauen eben auch wichtig ist.

Pausen gönnen wir uns allemal, um unsere Leistungsfähigkeit (wieder) zu steigern. Die Folgen dieser Haltung werden uns häufig erst bewusst, wenn es (schon fast) zu spät ist.

„Entspannen Sie sich, das ist wahrscheinlich das Beste, was Sie zur Rettung der Welt beitragen können“ (Fred Luks)

„Spanda“ ist Sanksrit und bedeutet in der Yoga-Philosophie so viel wie das „Pulsieren in jeder Zelle“. Alles ist in Bewegung und unser Leben, ja, das ganze Universum ist ein Pulsieren und ein Schwingen zwischen zwei Polen. Alles bewegt sich in Zyklen:

  • Aktivität und Passivität
  • Anstrengung und Entspannung
  • Einatmen und Ausatmen
  • Festhalten und Loslassen
  • Kontraktion und Expansion
  • Ebbe und Flut
  • Tag und Nacht

Doch haben wir längst verlernt auf diese Zyklen zu hören bzw. nach ihnen zu leben.

Pausen zu machen, also der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, fällt uns häufig alles andere als leicht. Und dies ist bei Weitem kein individuelles Thema, sondern vielmehr ein gesellschaftliches.

Eine Folge unserer Leistungsgesellschaft ist ein Gefühl des Gestresstseins. Oder anders ausgedrückt: Ein Zustand der Übererregung unseres Nervensystems. In diesem Zustand ist es fast unmöglich, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Denn wir befinden uns in einem Funktionsmodus, in dem wir durchhalten und funktionieren (müssen), um den Stress zu bewältigen.

Oder evolutionär ausgedrückt: um zu überleben.

Stress ist kein physiologischer Zustand von Dauer

Unser System ist nicht darauf ausgerichtet, dass wir in diesem Zustand für längere Zeit verweilen. Und trotzdem kann dieser Stresszustand gerade in unserer heutigen (Arbeits-)Welt auch chronisch werden. Dann wenn wir uns über Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre im Funktionsmodus befinden.

„Nur wenn ich leiste, bin ich gut genug“

„Wenn ich mich nicht genug anstrenge, fliege ich auf“.

Solche oder ähnliche Überzeugungen oder auch Glaubenssätze, die wir als (mehr oder weniger bewusste) Wahrheit betrachten, tragen wir alle in uns. Es lohnt sich also, die eigenen Konditionierungen, Prägungen und damit verbundenen Glaubenssätze zu identifizieren.

Abhängig von unserer Prägung, können wir also immer wieder die Erfahrung machen, dass uns unser Funktionieren in eine totale Erschöpfung führt (= Untererregung des Nervensystems), um uns danach wieder aufzurappeln und wieder weiter zu leisten.

„High Performance“ Phasen gefolgt von körperlichen und emotionalen Abstürzen erleben wir daher nicht selten als (für uns) „normale“ Zyklen.

Unser Nervensystem wird irgendwann so überlastet, dass ein „Not-Aus“ erfolgt (bspw. in Form eines Burnouts).

Es wäre jedoch fatal, die Phasen der Erschöpfung als „Pause“ zu deklarieren. Diese chronische Stresszustände führen zu einem Wahrnehmungsverlust der eigenen Bedürfnisse, dem eigenen Rhythmus und dem eigenen „Bewusst sein“.

P A U S E

  • Pause bedeutet so viel mehr als eine regelmäßige Mittagspause im stressigen Büro- oder Homeoffice-Alltag in der wir nebenher dann doch wieder die Emails auf dem Firmenhandy checken.
  • Pause bedeutet innehalten.
  • Pause bedeutet Raum geben für Regeneration und Integration. Für Achtsamkeit und Verbundenheit uns selbst und unserer Umwelt gegenüber.
  • Pause bedeutet auch die inneren und äußeren Reize zu reduzieren und mehr Balance zu schaffen.
  • Pause bedeutet in Kontakt zu kommen mit den eigenen Bedürfnissen.

Wie können wir also wieder lernen (regelmäßig) Pause zu machen und damit wieder in einen gesunden Zustand der Anspannung und Entspannung zu kommen? Was also tun? Weg vom Stress, hin zu dem, was sich momentan ganz ok anfühlt: Mit der Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt.

Leichter gesagt als getan. Eine mögliche Herangehensweise wäre:

  1. An allererster Stelle steht – wie so oft – die eigene klare Entscheidung wirklich etwas verändern zu wollen.
  2. Eng mit dieser Entscheidung verbunden, ist die Entwicklung einer wertschätzenden und liebevollen Haltung uns selbst gegenüber.
  3. Ein regelmäßiges mit uns selbst „einzuchecken“ kann helfen das „Bewusst sein“ zu trainieren: „Wie geht es mir? Was könnte mir jetzt in diesem Moment guttun?“
  4. Anfangen, kleine Pausen im Alltag zu schaffen. Aber Achtung! Hier lauert die Falle des Funktionierens und des Leistungsdrucks, wenn wir das „Pause machen“ als einen weiteren Punkt auf unserer To-do-Liste betrachten, den es abzuhaken gilt.
  5. Geduldig mit uns selbst sein! Wie bei allen Veränderungen (die auch nachhaltig sein sollen) benötigt auch diese Veränderung – und Hinwendung zu uns selbst – Zeit.

Oder um es in den Worten von Hans-Jürgen Görges zu veranschaulichen:

„Vielleicht erst mal ans offene Fenster, tief durchatmen, ein bisschen strecken und gähnen, die Füße am Boden spüren, Knie lockern. Woran denken? Vielleicht an den Regenbogen heute Morgen. Der war schön. Diese Farben. Jetzt noch einmal aufstehen und in die Küche, einen heißen Tee zu bereiten. Dann geht es schon wieder besser. Und die Spannung im Körper sinkt.“

ÜBUNG:

Meist nehmen wir unseren Körper gar nicht oder nur dann wahr, wenn er vollständig überanstrengt in der Anspannung, Überspannung oder im Schmerz ist.

Das sog. Ressourcenbarometer ist eine Art Seismograf für die Hier- und Jetzt-Orientierung, ein Barometer für den Ressourcenzustand, ein Instrument, das unseren Körper im Hier und Jetzt wahrnehmbar macht. Und eine kleine Micro-Pause, die uns wieder mit uns, unserem System und unserem Körper in den Kontakt gehen lässt.

  1. Erfragen der eigenen Körperwahrnehmung im Augenblick des Kontakts: Wo nehme ich einen Außenkontakt meines Körpers wahr (z.B. Fußsohlen am Boden, Oberschenkel an Sitzfläche, unterer Rücken an der Stuhllehne). Wo drückt es, ist es hart, liegt ein Teil von mir auf…?
  2. Skalieren: Wie deutlich nehme ich diesen Kontakt meines Körpers im Außen wahr? Auf einer Skala von 1-10, wenn 1 heißt fast nicht und 10 optimal?
  3. Vereinbarung mit mir selbst: Wie weit nach unten fühlt sich noch ok an? Wie hoch sollte der Wert mindestens auf der Skala bleiben, damit ich den Kontakt noch gut wahrnehmen kann? Diesen Wert ggf. aufschreiben und gut sichtbar vor mir platzieren.
  4. Überprüfen: Im Laufe des (Arbeits-)Tages immer wieder überprüfen: Liege ich noch beim Mindestwert oder drüber.
  5. Falls nicht oder darunter: Nachbessern bzw. reorientieren: Wieder zurück in den Körper kommen, z.B. durch Aufstehen, Sitzposition verändern, im Stehen von rechts nach links pendeln, Fenster aufmachen, Tee holen.
  6. wieder bei 1. starten.

Ich wünsche dir ganz viel Freude und Leichtigkeit beim Erkunden (und Ausdehnen) der kleinen Pausenzeiten.

Julia Breuer, Coaching I Beratung I Entwicklung
Netzwerkmitglied für 20251 Hamburg (D),
www.haltundhaltung.de

Literatur:
– Hantke, L. & Görges, H.-J. (2012): Handbuch Traumakompetenz. Basiswissen für Therapie, Beratung und Pädagogik. Paderborn: Junfermann Verlag.
– Schnabel, U. (2010): Muße – vom Glück des Nichts tun. München: Verlagsgruppe Random House.


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