Hochsensible und das Wörtchen „NEIN“

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(vho-db116-b03) „Nein danke!“ Kannst du diesen Satz als Hochsensible oder als Hochsensibler problemlos äußern, wenn du etwas nicht möchtest oder dir etwas unstimmig erscheint?

Violetta Hoffmann
Ein Beitrag von Violetta Hoffmann

Immer wieder beobachte ich in meiner täglichen Arbeit mit Hochsensiblen, dass das nach wie vor ein großes Thema zu sein scheint. Ich kann es allerdings aus eigener Erfahrung nachvollziehen, wie schwer es sein kann, zu seinen eigenen Bedürfnissen zu stehen. Als ich damals noch beim Hörfunk tätig war, bin ich sogar manchmal aus meinem Urlaub in die Redaktion gegangen um bei wichtigen Projekten zu helfen, wenn Not am Mann war. Nur tat ich das so lange, bis die Quittung kam, die da hieß: Burnout! Soweit muss es allerdings nicht kommen, wir können vorbeugen!

Das goldene Zauberwort heißt NEIN

Viele Hochsensible scheuen sich davor Dinge, Menschen oder Situationen abzulehnen, weil sie Angst vor Ablehnung haben!

Nehmen wir eine recht unbedeutende Situation aus dem Alltag:  Jemand bietet dir einen Kaffee an, und du weißt innerlich schon, dass wenn du diesen jetzt trinkst, dir danach ganz unwohl wird. Kannst du ihn freundlich ablehnen und sogar um etwas anderes bitten? Wenn ja, ist das schon mal ein sehr guter Anfang.

Wie sieht es hingegen aus, wenn dich eine Freundin oder ein Freund um einen Gefallen bittet, der deinen ganzen Tag vereinnahmen würde und du darüber hinaus wichtige Vorhaben verschieben müsstest. In dir zieht sich womöglich schon der Magen zusammen, doch der Kopf schaltet ein und sagt: „Stell dich nicht so an! Für gute Freunde tut man doch alles!“ Kannst du hier mit einem Nein antworten? Vermutlich nicht mehr so einfach wie bei dem Beispiel mit dem Kaffee.

Warum tun sich Hochsensible mit NEIN schwer?

Gerade im Familien- und Freundeskreis scheint uns das Wörtchen NEIN förmlich aus dem Gedächtnis zu entfliehen. Dahinter steckt oft der Glaubenssatz „Wenn es anderen gut geht, geht es auch mir gut“ oder „Hauptsache alle sind zufrieden, dann bin ich es auch!“

In vielen Fällen steckt die besagte Angst vor Ablehnung dahinter oder Gedanken, wie z. B. „Du musst ein guter Mensch sein“, „Du darfst nicht arrogant erscheinen“ oder „Was denken jetzt wohl die anderen“. Das Gute ist, du musst nicht unbedingt wissen, welche und wie viele Ängste sich in dir tummeln. Es geht vielmehr darum, auf Dauer ein gesundes Gleichgewicht zwischen deinen Bedürfnissen und den deiner Mitmenschen herzustellen, ohne dass jemand faule Kompromisse eingehen muss. Weder du noch dein Gegenüber.

In 3 Schritten sich selbst anlaysieren

1. Schritt:

Der erste Schritt ist dir einfach bewusst zu werden, in welchen Situationen und bei welchen Menschen dir das NEIN-sagen immer wieder schwerfällt. Idealerweise notierst du dir das und hinterfragst und analysierst für dich, warum das wohl so ist!

2. Schritt:

Im zweiten Schritt kannst du dir folgende Fragen stellen:

  1. Wovor habe ich jetzt Angst?
  2. Was passiert im schlimmsten Fall, wenn ich jetzt ablehne?
  3. Habe ich das Gefühl, missverstanden zu werden?
  4. Wo habe ich eventuell selbst eine unbewusste Einladung rausgeschickt, dass ich immer da bin und mich immer anpasse?
  5. Habe ich in der Vergangenheit falsche Signale an mein Gegenüber gesendet?
  6. Gebe ich mich extrem oft als „lieb und nett“ aus, obwohl mich gewisse Situationen manchmal zur Weißglut bringen?

3. Schritt:

Im dritten Schritt kannst du dich selbst und deine Kommunikation mit deinen Mitmenschen beobachten. Oft höre ich in meiner Arbeit mit Menschen Sätze wie: „Die verstehen mich doch sowieso nicht!“ oder „Ich weiß gar nicht, wie ich mich verständlich machen soll.“ und so weiter. Natürlich ist es wahrscheinlich, dass weniger empathische Menschen deine hochsensiblen Bedürfnisse nicht immer nachvollziehen können. Das ist ganz normal.

Lösungen

Wie wäre es, wenn du einfach deren Sprache nutzt, um dich verständlich zu machen. Zum Beispiel:

  • „Nein, das geht heute/morgen nicht!“
  • „Ich bin (zurzeit) nicht so belastbar.“
  • „Nein, ich bin im Urlaub.“
  • „Ich habe gerade eine Auszeit.“
  • „Nein, heute nicht, sonst brummt mir der Kopf am Abend!“
  • „Nein, das kann ich einfach nicht mehr.“
  • „Nein, aktuell ist mir das nicht möglich!“
  • Und so weiter…

Achte allerdings darauf, dass du nicht zu sehr in die Rechtfertigungsspirale rutschst. Grundsätzlich musst du dich nämlich weder für dein hochsensibles Wesen noch für deine Bedürfnisse rechtfertigen. Und dann darfst du mit der Zeit auch den oben erwähnten Glaubenssatz verändern:

„Wenn es mir gut geht, geht es auch meinen Mitmenschen gut!“

„Wenn ich in Harmonie bin, ist es mein Umfeld auch!“

Wenn du mit der Zeit Schritt für Schritt lernst, deine eigenen Bedürfnisse zu achten und auch souverän zu vertreten, dann werden es deine Mitmenschen auch. Sie werden deine innere Haltung instinktiv wahrnehmen. Und hier noch ein Tipp:

Sei‘ geduldig mit dir selbst, das kommt nicht von heute auf morgen, denn es wird sich manchmal wie eine kleine Mutprobe anfühlen, zu dir selbst zu stehen.

Dein Leben wird dich immer wieder liebevoll mit Situationen in Kontakt bringen, wo du das „Zu dir und deinen Bedürfnissen stehen“ lernen kannst. Gehe diesen Wachstumsprozess nicht so streng an, sondern vielmehr spielerisch und übe dich zuerst in kleinen, nicht so wichtigen Situationen.

Violetta Hoffmann, Netzwerkmitglied für 77654 Offenburg (D), mediale Mentorin mit Schwerpunkt auf Hochsensibilität, www.violettahoffmann.com,
Autorin von:


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ISBN ‎ 978-3347225381

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2 Kommentare

  1. Liebe Ann-Ka,

    ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar und das Teilen deiner Erfahrungen.
    Es freut mich sehr, dass du den Mut hast, zu dir und deinen Bedürfnissen zu stehen. Das ist natürlich nicht immer einfach und erfordert hier und da ein bisschen Mut. Umso mehr kannst du stolz auf dich sein.
    Das Gefühl, sich selbst manchmal auszugrenzen, wenn man sich sowieso schon „anders“ fühlt, ist normal. Allerdings musst du grundsätzlich auf nichts verzichten. Vielleicht magst du ja mal folgendes ausprobieren: Sobald wieder eine Feier ansteht, erlaubst du es dir entweder später aufzutauchen oder früher zu gehen, um den Abend für dich in Ruhe ausklingen zu lassen. Ich denke, auch hier wirst du auf Verständnis treffen. Mir hilft manchmal folgende Affirmation: „Ich gönne mir den Luxus ich selbst zu sein, und gestatte es den anderen anders zu sein!“ In diesem Sinne wünsche ich dir alles Liebe!

    Viele Grüße
    Violetta

  2. Liebe Violetta, danke für diesen Artikel und deine Website insgesamt. Ich erkenne mich so sehr wieder. Auch beim Punkt, wie viel Mut es braucht, zu sich und seiner Hochsensibilität zu stehen. Ich habe schon jahrelang ein Problem mit größeren Menschengruppen. Ich fühle mich so unwohl. Es strömt so enorm viel auf mich ein und ich weiß dann garnicht mehr, wo ich hindenken, hinhören, hinschauen und hinfühlen soll. Das zieht unglaublich viel Energie – auch alle Emotionen der anderen wahrzunehmen – und immer ausgleichend wirken zu wollen – dass ich anschließend immer viel Zeit brauche, mich zu erholen. Ich habe mich nun entschlossen, offen dazu zu stehen und war somit an dem Punkt, dass ich in den letzten Wochen mehrmals „Nein“ zu sozialen Aktivitäten gesagt habe (große Geburtstage, Grillfeiern, Partys usw. – und damit zum ersten Mal offen gesagt habe, warum ich nicht mitgehe). Das hat viel Mut gekostet. Und ich bin stolz darauf, so ehrlich zu sein. Und die Rückmeldungen waren auch fair und verständnisvoll, was ich nicht gedacht hätte. Dennoch: Irgendwie fühle ich mich auch, als wäre ich schwach und hätte versagt. Ich fühle mich so anders, weil ich keinen Spaß an großen Treffen finde, wo doch alle anderen so Spaß dran haben. Ich fühle mich so schon oft anders und jetzt fühlt es sich so an, als hätte ich mich aktiv nochmal mehr ausgegrenzt. Obwohl es sich zugleich so befreiend und richtig anfühlt. Viele Stimmen im Kopf. Danke für deine Seite und dass ich durch das Lesen spüren darf, dass ich nicht komisch bin und dass es Menschen gibt, die ebenso empfinden wie ich. Liebe Grüße Ann-Ka

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